Stadtchronik Seelow
1946 bis zur Gegenwart
1946 bis 1970 - Jahre des Neuanfangs und des Wiederaufbaus
Von Michael Schimmel
Am 23./24. März 1946 vollzog sich im “Schwarzen Adler” die mehr oder weniger freiwillige Vereinigung von KPD und
SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.
Als man endlich die größten Schäden beseitigt hatte, brach in der Nacht zum 22. März 1947 der Oderdeich bei
Reitwein. In nur wenigen Tagen stand das ganze Oderbruch unter Wasser.
1800 Evakuierte mussten in Seelower Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden untergebracht und über fünf
sogenannte Volksküchen versorgt werden. Da über 50 % der Seelower Feldmark im Oderbruch liegen, waren auch die
ca. 30 Bauernhöfe auf den Seelower Loosen durch das Hochwasser stark in Mitleidenschaft gezogen worden.
Als sich das Wasser verzogen hatte, hieß es ab vielen Stellen erneut, bei Null zu beginnen.
1948 wurde in der Sowjetischen Besatzungszone der “Zweijahrplan” beschlossen. In diese Zeit fällt die Gründung der
MAS (Maschinenausleihstationen) in Seelow und anderen Orten des Kreises.
Mit Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 erfolgte zunächst die Umbenennung des Kreises Lebus in den Kreis Seelow.
Seit dem 1. Juli 1950 war Seelow offiziell Kreisstadt dieses 1952 im Rahmen einer Gebietsreform stark reduzierten
Kreises.
1950 legte ein Beschluss der Stadtverordneten den Wiederaufbau Seelows fest. Geplant waren zunächst 100
Wohnungen und ein Kulturhaus. Man begann mit diesem Vorhaben im ehemaligen “Wurschtwinkel”, der heutigen
Erich-Weinert-Straße. Bis 1970 wurden viele Neubauten errichtet, die zwar einen Wohnungszuwachs brachten, aber
auch eine gewisse Tristesse ins Stadtbild. Dazu zählen die Schulen wie der Neubau der Allgemeinen Berufsschule “J.R.
Becher” in der Straße der Jugend und die 1968 errichtete “Bertolt-Brecht-Schule” sowie die Wohnblöcke an der
Erich-Weinert-Straße, der Straße der Jugend und der Bertolt-Brecht-Straße. Am Stadtrand entstanden kleine
Eigenheimsiedlungen wie die Handwerkersiedlung Seelow-Nord mit Linden-, Birken- und Ahornweg sowie Hanebutts
Wassersiedlung.
Von besonderer Bedeutung für das Stadtbild und auch für das kulturelle Leben des gesamtem Kreises war die
Einweihung des Kreiskulturhauses im Mai 1957. Nur wenige Wochen später wurde auch das “Oderbruchstadion” fertig
und feierlich übergeben.
Im vom Krieg noch immer schwer gezeichneten Stadtzentrum entsteht ein befestigter Parkplatz und das Kaufhaus, das
in Verantwortung der Konsumgenossenschaft 1959 eröffnet wird. Ein Jahr später wurde der VEB Gebäudewirtschaft
gegründet, der von der Stadt einen Bestand von 382 übernahm. 1970 waren es bereits 570 und 1988 über 1900
Wohnungen. Dazu kamen weitere staatliche Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten.
Leider wurden aber auch viele Gebäude dem Verfall preisgegeben. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse, Desinteresse
und staatliche Anordnungen führten zum Verlust von Bauten wie dem Schweizerhaus mit seinen Anlagen oder der
Turnhalle am alten Sportplatz, der nur das Dach fehlte. Das gleiche Schicksal ereilte das Schützenhaus und das
Gesellschaftshaus in der Küstriner Straße.
Auch der Kirche wäre es ähnlich ergangen, wenn nicht engagierte Gemeindeglieder unter tatkräftiger Anleitung ihres
unerschrockenen Pfarrers Ringhandt den Wiederaufbau des Kirchenschiffes vorangetrieben hätten. Auf den Turm
mussten sie zunächst verzichten.
Mit dem Baugeschehen wuchs auch die Bevölkerungszahl der Stadt. Von 3.492 im Jahre 1950 stieg sie auf 4677 im
Jahre 1971. Seelow blieb aber eine von der Landwirtschaft geprägte Stadt mit einigen Handwerksbetrieben. Auch die
anderen Betriebe, eine Konservenfabrik am Osteingang der Stadt, das Betonwerk und das Käsewerk am Bahnhof,
waren alle auf die landwirtschaftliche Produktion im Umfeld Seelows zugeschnitten. Die Bauern und einstigen
Ackerbürger hatten sich inzwischen teils freiwillig, teils unter massivem Druck, zu Landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaften zusammengeschlossen.
Ende der 1950er Jahre entstanden auf die gleiche Weise Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH). Zu
ihnen gehörten die Dachdeckergenossenschaft “Aufbau”, die PGH “Form” und “Farbe”, die PGH “Holz” und die PGH
“Technik”. Die privaten Handwerksbetriebe wurden in diese Genossenschaften integriert oder sie musste aus
verschiedenen Gründen schließen, ein von den Machthabern gewollter Nebeneffekt.
1970 bis 1990 Jahre der Stagnation
Mit dem Jahr 1970 wurde Seelow nach fast 200 Jahren wieder Garnisonstadt. Zwischen Seelow und Diedersdorf
wurden im Wald Unterkünfte für ein Brückenbauregiment erbaut.
1983 kam noch ein weiterer Truppenteil hinzu, das Hochbauregiment. Es entstand eine kleine Stadt für sich mit 120
Gebäuden, darunter einem Klubhaus, eine Küche, eine Sporthalle, ein eigenes Wasserwerk und ein Heizhaus. Dieser
Standort der Nationalen Volksarmee wirkte sich positiv auf den Bau der Kaufhalle in der Straße der Jugend und
einigen sozialen Einrichtungen in der Stadt aus, die sonst wohl nicht so schnell entstanden wären. Nach 1970 wurden
für die Militärangehörigen außerdem acht Wohnblöcke in der Stadt mit ca. 360 Wohnungen gebaut. Darunter
befanden sich auch die ersten 124 Wohnungen, die mit Fernwärme versorgt wurden.
Die Mehrheit der Bautruppe war selten in Seelow anzutreffen. Meist befanden sich die Soldaten auf irgendwelchen
geheimen Baustellen, die zum Schutz der Regierung und für die Landesverteidigung errichtet wurden. Die Stadt
Seelow und ihre Umgebung hatten von dieser militärischen Baueinheit den Vorteil, dass diese im Rahmen der
Ausbildung oder militärischer Übungen Brücken und Betonstraßen im Oderbruch erbaute.
Der NVA-Standort bot vielen Seelowern einen Arbeitsplatz und den Betrieben der Umgebung ein reiches
Betätigungsfeld.
Ansonsten muss man in der Entwicklung der Stadt seit 1970 von Stagnation sprechen. Die Ursachen lagen nicht in der
Stadt selbst, sondern in der gesamten Entwicklung der DDR mit ihrer starren zentralistischen Planwirtschaft. Bei der
Zuteilung staatlicher Mittel ging Seelow oft leer aus oder wurde erst ganz zuletzt bedacht. Viele Mittel blieben in
Berlin, so auch manche Versorgungsgüter, die in Seelow nicht zu bekommen waren. Also fuhr man in die Hauptstadt,
um dort Dinge einzukaufen, die man in Seelow nur selten sah. Das Oderbruch als Gemüsegarten erzeugte seine
Produkte vorrangig für die Versorgung Berlins. In Seelow blieb davon wenig hängen, und das auch erst, nachdem sich
Unmut unter der Bevölkerung über die schlechte Versorgung geregt hatte.
Im Süden der Stadt wurden weitere Wohnblöcke erbaut. Zwischen diesen und der Kleinbahnstrecke entstand eine
kleine Eigenheimsiedlung aus einstöckigen Häusern, die genau wie die Wohnblöcke nicht in das Stadtbild passen.
Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre entstanden die Wohnblöcke hinter dem Rathaus, wozu eine ganze Reihe
dort stehender alter Häuser bis auf die Gärtnerei Sprockhoff und die Gebäude der PGH “Ofensetzer und Fliesenleger”
abgerissen wurden.
Weitere Wohnblöcke errichtete man am Stadion und am westlichen Ausgang der Stadt gegenüber der Tankstelle. Ende
der 1980er Jahre entstanden mit dem Frankfurter Tor und den Punkthäusern hinter dem Stadion an der Rennstrecke
die letzten Häuser in der DDR-Zeit.
1990 bis zur Gegenwart - Seelow verändert sich wie nie zuvor
Der oft als “Wende” bezeichnet Zusammenbruch der DDR setzte im Herbst 1989 auch in Seelow ein. Bürger
protestierten gegen die vielen Unzulänglichkeiten, fassten Mut, ihre Kritik öffentlich zu äußern. Neben dem großen
Stadtbrand von 1788, der Städtereform zu Beginn des 19. Jahrhunderts und dem verheerenden Ende des Zweiten
Weltkrieges stellt diese Zeit die vierte große Zäsur in der Stadtgeschichte Seelows dar. Mit dem folgenden Umbau der
Wirtschaft wurden Seelower Betriebe umgewandelt, privatisiert oder “abgewickelt” bzw. geschlossen. Für viele
ehemalige Mitarbeiter in diesen Betrieben begann der Weg in die Arbeitslosigkeit. In der strukturschwachen Seelower
Region stiegen die Arbeitslosenzahlen natürlich besonders hoch an. Manche versuchten einen Neuanfang in der
Selbständigkeit, doch bald regelte die Nachfrage den Bedarf. Andere verließen ihre Heimat und versuchten ihr Glück
in der Fremde. Die Einwohnerzahl ging dadurch spürbar um einige hundert zurück.
Im Norden der Stadt wurde ein Gewerbegebiet angelegt, um günstige Rahmenbedingungen für Firmenansiedlungen zu
schaffen. Nach einer schwierigen Anfangszeit sind inzwischen doch einige Firmen hier ansässig geworden.
Im Stadtzentrum wurden etliche Häuser wie die Apotheke oder der “Schwarze Adler” saniert. Die Ecke Küstriner-/
Frankfurter Straße wurde mit einem neuen Wohn- und Geschäftshaus bebaut und damit eine seit 1945 bestehende
Baulücke geschlossen.
Um das Weiterbestehen der Gedenkstätte auf den Seelower Höhen, die einst vorrangig zu Propagandazwecken
errichtet wurde, gab es viele Diskussionen. Es wurde entschieden, die Gedenkstätte nach Überarbeitung der
Ausstellungen weiter zu führen. Jetzt wird nicht mehr ausschließlich der Sieg der Roten Armee verherrlicht, sondern
es findet eine realistische und ausgewogene Darstellung der Kriegsereignisse im Frühjahr 1945 statt.
Ein besonderer Termin ist in jedem Jahr der 17. April, an dem die einstigen Verteidiger Seelows vom 76.
Panzergrenadierregiment hier ihrer gefallenen Kameraden gedenken.
Regelmäßig kommt es auch zu Begegnungen mit russischen Kriegsveteranen, die aus dem gleichen Grund nach Seelow
kommen.
Im Zuge der Kreisreform wurden Ende 1993 die ehemaligen Kreise Bad Freienwalde, Strausberg und Seelow zum Kreis
Märkisch-Oderland zusammengelegt. Einen erbitterten Kampf gab es um die Bestimmung der neuen Kreisstadt. Mit
denkbar knappem Vorsprung fiel die Wahl auf Seelow, ein für die künftige Stadtentwicklung sehr wichtiges Ergebnis.
Damit blieb auch das Landratsamt, das sich schon seit 130 Jahren hier befand, in der Stadt und ist heute sogar der
größte Arbeitgeber geworden.
In den 1990er Jahren fand in Seelow ein äußerst lebhaftes Baugeschehen statt. Neben vielen Einfamilienhäusern und
den Geschäftshäusern am Markt entstand auf der grünen Wiese im Westen der Stadt ein großes Einkaufszentrum mit
Supermarkt, Baumarkt u. a. Einkaufsmöglichkeiten. Zu den neuen Gebäuden gehört auch das Hotel “Brandenburger
Hof”.
1997/98 ist dank großzügiger Spende des in Seelow geborenen Versandhausunternehmers Dr. Werner Otto der
Kirchturm wiederaufgebaut worden. Er ist für das Stadtbild in seiner dominierenden Stellung von großer Bedeutung.
Außerdem schallt seit 1998 nach über 50 Jahren wieder Glockenklang über die Dächer von Seelow. Auch für die
inzwischen abgeschlossene Erneuerung des Kirchenschiffes hat sich Herr Otto mit namhaften Spenden engagiert.
Das Stadtcafè am Markt wurde abgerissen. An seiner Stelle wurde ein neues Gebäude errichtet, das in seinen äußeren
Formen dem Rathaus angenähert ist, das bis 1945 hier stand.
Die Ecke Berliner-/ Wriezener Straße wurde mit einem Wohn- und Geschäftshaus neu bebaut.
Mit dem Neubau der Sparkassenfiliale in der Küstriner Straße und dem Um- und Anbau des heutigen Rathauses wurde
die in den letzten zehn Jahren erfolgte Umgestaltung des gesamten Marktes und seiner Umgebung im wesentlichen
beendet. Zuletzt kam noch der Erweiterungsbau der Kreisverwaltung hinzu. Auch das Kirchviertel wurde einer
Verjüngungskur unterzogen. Hier entstand ein neues Redaktionsgebäude der Märkischen Oderzeitung auf dem Platz
der alten Zeitungsdruckerei, wurden die alte Polizeiwache zum Domizil für das Christliche Jugenddorf umgestaltet,
der Busbahnhof umgebaut und ein Lebensmittelmarkt errichtet.
Die Seelower Wohnungsbaugesellschaft hat mit Hilfe staatlicher Förderprogramme ihren gesamten Wohnungsbestand
modernisiert und den einstmals grau und eintönig wirkenden Wohnblocks aus der DDR-Zeit ein freundlicheres
Aussehen gegeben. Auf diese Weise sind attraktive Wohnungen entstanden, und nicht ohne berechtigten Stolz wird
auf den nur geringfügigen Leerstand von 5 % verwiesen. Anderswo müssen wegen sehr viel höherer Leerstandsquoten
solche Häuser abgerissen werden.
1946 bis heute
In nur zwölf Jahren ist es gelungen, das einst triste Stadtbild wesentlich freundlicher zu gestalten. Überall stehen
neue Häuser oder es erstrahlen die alten in neuem Glanz. Obwohl Seelow in einer der wirtschaftlich schwächsten
Regionen Brandenburgs liegt, wurde ein Großteil der Straßen und fast jedes zweite Haus neu erbaut oder von Grund
auf erneuert.
In der Gegenwart hat Seelow 5423 Einwohner. Diese Zahl wird sich ändern, wenn im Zuge der
Gemeindestrukturreform Eingemeindungen erfolgen sollten. Auf diese Entwicklung darf man gespannt sein, ebenso
auf die Auswirkungen der Verkehrsumleitung über die geplanten Umgehungsstraßen der B 1 und der B 167.
Das letzte Stadtjubiläum feierte man in Seelow im Sommer 1977. Niemand konnte damals ahnen, welche
Veränderungen nur 12 Jahre später in Gang gesetzt werden würden.
Wenn in 25 Jahren das nächste Runde Ortsjubiläum ansteht, werden wir sehen, was dann aus dem alten
Ackerbürgerstädtchen geworden ist. Mit Sicherheit wird der Chronist im Jahre 2027 im Rückblick auf diese Zeit, die
für Seelow eine glückliche werden möge, wieder viel zu berichten haben.
Im Jahre 1977 wurde mit großem Aufwand das 725 Jährige
Stadtjubiläum gefeiert. Zu diesem Anlass entstand eine Festschrift, die
über die damalige Situation in Seelow eine gute Vorstellung vermittelt.
Im Vorwort heißt es u.a.: “Die Entwicklung unserer Stadt und ihrer
Einwohner ist ein überzeugender Beweis, wie durch die Kraft der
Werktätigen unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-
leninistischen Partei, der SED, der sozialistische Aufbau erfolgreich
voranschreitet, wie unser aller Leben täglich reicher und schöner wird.”
Doch viele Menschen waren auch in Seelow schon damals mit ihren
Lebensverhältnissen unzufrieden. Nur zwölf Jahre später brach die
wirtschaftlich marode DDR zusammen und löste sich innerhalb weniger
Monate auf.
Für weitere Informationen zu diesem Thema kontaktieren Sie M. Schimmel.
Detailliertere Ausführungen sind auf Nachfrage vorhanden.